Grußwort

2023 war ein krisen- und konfliktreiches Jahr – aber es war auch ein weiteres Jahr, das uns verstärkt gezeigt hat, wie wichtig es ist, gemeinsam für Transparenz zu kämpfen. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit und der Zugang zu Informationen ist es auch nicht.

Deswegen haben wir in diesem Jahr gleich ein ganzes Netzwerk gegen juristische Angriffe von rechts gegründet – den Gegenrechtsschutz. Wir haben ein komplettes Handbuch zur Informationsfreiheit veröffentlicht und erneut durch unsere Summer School engagierte Organisationen befähigt, ihr Recht auf Zugang zu Informationen für ihre politische Arbeit zu nutzen.

Ob Informationsfreiheitsgesetze, offene Archive oder Leaks: Wir kämpfen mit allen Werkzeugen für frei zugängliche Dokumente. Wir scheuen nicht davor zurück, mit riesiger Plakatwerbung und gezielten Anzeigen über Social Media Frontex-Mitarbeitende in Warschau aufzurufen, Missstände zu melden. Und selbst unser Chefredakteur Arne wird angeklagt, weil er  Dokumente aus einem laufenden Strafverfahren gegen die „Letzte Generation“ veröffentlichte.

Das letzte Jahr hat erneut gezeigt, dass es Strukturen braucht, um politische Teilhabe zu ermöglichen, öffentliche Räume für Austausch geschützt werden müssen und es den Mut von vielen braucht, darum zu kämpfen.

Viel Vergnügen beim Lesen des Jahresberichts!

Isa Lachmann
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

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Kampagnen & Aktionen

2023 haben wir auf verschiedene Missstände aufmerksam gemacht und gemeinsam mit unserer Community für Transparenz gesorgt.

Kampagnen-Updates

Gegenrechtsschutz

Mit dem Gegenrechtsschutz schützen wir den öffentlichen Diskurs gegen Angriffe von rechts. Seit Juni konnten wir mit unseren Rechtshilfefonds bereits mehrere Betroffene unterstützen. In einem halben Dutzend Fällen halfen wir Personen, sich erfolgreich vor Gericht gegen die Einschüchterungen zu wehren. In zahlreichen weiteren Fällen half bereits ein Anwaltsschreiben. Weitere Verhandlungen und neue mögliche Verfahren stehen an. Zusammen mit dem Beirat beraten wir fortlaufen über neue Anfragen, die uns erreichen.

FragDenStaat-Bibliothek

Viele wichtigen Informationen des Staates sind zwar veröffentlicht, jedoch kaum auffindbar, hinter Bezahlschranken und nur schwer weiter zu verwenden. Das ändern wir mit unserer neuen Bibliothek, in der wir große Dokumentensammlungen öffnen. Den Anfang machen wir mit dem „Gemeinsamen Ministerialblatt“, in dem Ministerien alle neuen Regelungen wie z.B. Verwaltungsvorschriften, Verordnungen, Richtlinien oder Erlassen veröffentlichen.

Verschlusssache Prüfung

Für Prüfungsvorbereitungen in der Schule eignen sich Vorjahresaufgaben besonders gut:  Sie zeigen das zu erwartende Niveau und den Erwartungshorizont. Nur weigern sich die meisten Bundesländer, die alten Aufgaben kostenlos zur Verfügung stellen. Stattdessen zeigen wir auf, dass der Staat diese an einen privaten Verlag verscherbelt, der sie dann als Lernmaterial teuer an Schüler*innen weiterverkauft. Gemeinsam mit Wikimedia fordern wir endlich Bildungsgerechtigkeit!

See something, say something!

Whistleblowing ist ein wichtiges demokratisches Instrument. Deshalb haben wir eine Anzeigen-Kampagne gestartet, die sich direkt an Frontex-Mitarbeiter*innen richtet, online wie offline, und sie auffordert, Missstände zu melden. Denn Menschenrechtsverletzungen sind an den EU-Außengrenzen zur Norm geworden und in der Öffentlichkeit streitet Frontex routinemäßig jedes Fehlverhalten ab. Mitarbeiter*innen können sich nun vertrauensvoll an uns wenden.

Klagen

Auch unser Legal-Team hat 2023 wieder Großartiges geleistet: Wir haben das „Handbuch Informationsfreiheitsrecht“ veröffentlicht, da es bisher wenig frei zugängliche rechtswissenschaftliche Literatur im Bereich der Informationsfreiheit gab. Außerdem waren wir mit zwei Klagen vor dem Europäischen Gericht in Luxemburg: Ioannis Lagos ist Neonazi und zu 13 Jahren Haft verurteilt – gleichzeitig ist er Abgeordneter im EU Parlament. Wir wollten wissen, wie der Kriminelle seine Abgeordnetengelder verwendet. In dem zweiten Fall klagten wir gemeinsam mit Sea-Watch gegen die EU-Grenzpolizei Frontex, um für Aufklärung hinsichtlich ihrer menschenrechtswidrigen Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache zu sorgen. Weitere Kooperationsklagen gab es mit Finanzwende, Fossil Free Berlin, der Umweltgruppe Cottbus sowie Pro Asyl. Insgesamt haben wir in den vergangenen Jahren 164 Klagen eingereicht. Dazu gehört auch unsere Klage gegen den Bundespräsidenten Steinmeier zu seinen intransparenten Begnadigungen. Wir ziehen mit dem Fall nun in die nächste Instanz vors Oberverwaltungsgericht.

Übrigens: Unser Legal-Team veröffentlicht seit letztem Jahr die monatliche Gastkolumne „Akteneinsicht“ auf Legal Tribune Online zu staatlicher (In)Transparenz und Informationsfreiheit.

164 Klagen eingereicht

2 Fälle vors Europäische Gericht gebracht

Recherchen

Mit eigenen investigativen Recherchen haben wir auch 2023 eigene Schwerpunkte gesetzt und wichtige Dokumente von großem gesellschaftlichen Interesse veröffentlicht. So haben wir u.a. gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royale den gesamten Verlauf der rechtsextremen Chatgruppe „Itiotentreff“ von Frankfurter Polizisten veröffentlicht und aufgezeigt, wie eine kaum bekannte Organisation, das ICMPD, fernab von öffentlicher Kontrolle, Europas Migrationspolitik mitgestaltet. Darüber hinaus machten wir Lehrmaterialien öffentlich, mit denen Polizist*innen Schmerzgriffe beigebracht werden. Der Umgang mit psychisch kranken Person wird darin allerdings nicht gelehrt, was wir wiederum in unserer weiteren Recherche zu tödlichen Polizeieinsätzen zeigen konnten. Als zeitgeschichtliche Dokumente machten wir die Geheimdienst-Akten des untergetauchten NS-Verbrechers Alois Brunner zugänglich. Im August veröffentlichte unser Chefredakteur Arne Gerichtsbeschlüsse aus laufenden Strafverfahren gegen Mitglieder der „Letzten Generation“, die man in Deutschland eigentlich nicht veröffentlichen darf. Ob dieses Verbot noch zeitgemäß ist, sollen nun die Gerichte klären. Wir sind überzeugt, dass derartige Dokumente für die Pressefreiheit und eine informierte öffentliche Diskussion transparent sein müssen!

84 Artikel im Blog veröffentlicht

5.140 neue Newsletter-Abos

1 Strafverfahren wegen veröffentlichter Gerichtsbeschlüssen

Plattform

Auch von der Plattform gibt es Neuigkeiten. Kara hat im vergangenen Jahr die Leitung des Tech-Teams von Stefan übernommen, der jetzt für strategische Projekte verantwortlich ist. Und mit Denis haben wir auch einen neuen Sys-Admin gefunden, der uns seit Oktober tatkräftig unterstützt. Auch inhaltlich ist einiges passiert: Zivilgesellschaftliche Organisationen haben endlich eine bessere Sichtbarkeit auf FragDenStaat. Auf eigenen Profilen werden alle zugehörigen User*innen und gestellte IFG-Anfragen der Organisationen dargestellt. So kann verfolgt werden, für welche Dokumente sich beispielsweise Sea-Watch gerade interessiert. Neue Anfragen der Organisationen können per RSS-Feed abonniert werden. Mit der Veröffentlichung des Gemeinsamen Ministerialblatts (GMBl) haben wir außerdem einen sehr großen Dokumentenschatz gehoben. Das GMBl wird seit 1950 von Ministerien dazu genutzt, ihre neuen untergesetzliche Regelungen – also z.B. Verwaltungsvorschriften, Verordnungen, Richtlinien oder Erlasse – bekannt zu machen. Doch musste man bislang für den Zugang zahlen. Wir finden das nicht richtig und stellen alle 2713 Ausgaben im Rahmen der FragDenStaat-Bibliothek zur Verfügung. Außerdem arbeiten wir seit Monaten im Hintergrund an Design-Themen, damit es künftig noch leichter wird, Anfragen über FragDenStaat zu stellen sowie Post und Anhänge zu verwalten. Dazu kommen natürlich wieder hunderte kleinere Verbesserungen, Fehlerbehebungen sowie die Wartung und Aktualisierung von Softwarekomponenten.

28.436 Anfragen

  • davon 11.021 (teilweise) erfolgreich

7 Millionen Seitenaufrufe

 1.859 Problemberichte

Top Bundesministerien

  1. Innenministerium: 421
  2. Verkehrsministerium: 308
  3. Gesundheitsministerium: 287

477 Anfragen an EU-Behörden

Diversity, Equity und Inklusion

Wir wollen den Jahresbericht auch nutzen, um uns zu den Themen Diversity, Equity und Inklusion bei FragDenStaat zu äußern. Ende 2023 haben wir eine Team-Umfrage gemacht, um vor allem zu einer internen Bewusstseinsbildung beizutragen. Wir wollen unsere Strukturen und Prozesse sowie bestehende und geplanter Maßnahmen evaluieren. Da wir ein vergleichsweise kleines Team sind, können wir nur wenige Ergebnisse davon veröffentlichen, ohne einzelne Mitarbeitende identifizierbar zu machen:

  • 82% der Mitglieder des FragDenStaat-Teams, die an der Umfrage auf freiwilliger Basis teilgenommen haben, identifizieren sich selbst als weiß, 18% als nicht weiß/BPoC; 24% haben einen Migrationshintergrund.
  • Außerdem identifizieren sich 53% der Teammitglieder als weiblich, 35% als männlich und gleichzeitig 12% als nicht-binär und/oder trans.
  • 29% waren die erste Person in ihrer Familie, die an einer Universität studierten. Entsprechend war dies bei zwei Drittel des Teams nicht der Fall.
  • Nur weiße Teammitglieder haben Leitungsfunktionen.

Wir werden die Umfrage optimieren und jährlich durchführen, so dass wir Veränderungen bewerten können.
Darüber hinaus freuen wir uns weiterhin über Hinweise und einen Austausch z.B. auch hinsichtlich dem Abbauen von Barrieren auf unserer Plattform.

53 Kunsteditionen und 11 Welcome-Pakete versendet

Wieder 1 Zeitung herausgebracht

1 Anfrage einer Staatsanwaltschaft: Anonymisierte Anfragen sind über unsere Plattform möglich. Daran wird sich auch nichts ändern und wir geben keine Daten an externe Stellen heraus. Allerdings kann es in Einzelfällen trotzdem dazu kommen, wenn es rechtlich zwingend ist. In einem Fall hat die Berliner Staatsanwalt uns dazu verpflichtet, Daten eines Antragstellers an sie herauszugeben. Wir haben der betroffenen Person Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Sollte es in Zukunft weitere derartige Fälle geben, werden wir sie weiter in unseren Jahresberichten dokumentieren.

Dank und Ausblick

Ein großer Dank geht raus an alle, die auch 2023 an unsere Arbeit geglaubt und FragDenStaat unterstützt haben. Danke an alle User*innen, die unsere Plattform mit Leben füllen, an unsere ehrenamtlichen Jurist*innen und Moderator*innen, unsere Kooperationspartner*innen sowie alle Spender*innen. Ihr alle seid großartig!
Ein paar unserer Themen des vergangenen Jahres werden uns auch 2024 weiter beschäftigen: Mit dem Gegenrechtsschutz werden wir weiter mit juristischer Expertise gegen Einschüchterungsversuche von Rechts reagieren, mit dem Koalitionstracker die Arbeit der Ampel beleuchten und auch erneut für die Veröffentlichung von Abschlussprüfungen durch die Bundesländer kämpfen. Außerdem freuen wir uns auf unsere dritte Summer School und wie immer viele Investigativ-Recherchen und Klagen.

Außerdem erscheint am 3. Juni das Buch „Machtübernahme. Was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren – Eine Anleitung zum Widerstand“. Unser Chefredakteur Arne beschäftigt sich darin mit den Gefahren, die uns drohen, wenn rechtsextremistische Kräfte an die Macht kommen und liefert Handlungsstrategien dagegen. Uns allen wäre lieber, wenn das Buch nicht hätte geschrieben werden müssen. Aber die Bedrohung ist real und angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen und den Wahlprognosen aktueller denn je. Daher kämpfen wir auch 2024 weiter – für eine pluralistische freiheitliche Demokratie, ein transparentes Staatswesen und natürlich für Informationsfreiheit. Denn es bleibt dabei: Eine starke Demokratie braucht eine informierte und aktive Zivilgesellschaft.

Danke, dass ihr dabei seid!