Wie entstand das Selbstbestimmungsgesetz?
Heute beschließt der Bundestag nach langer Verzögerung das Selbstbestimmungsgesetz. Wir verklagen derweil das Familienministerium, um herauszufinden, wie es zu der Verzögerung und umstrittenen Änderungen kam. Außerdem geht es um grundsätzliche Fragen.
Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP versprochen, das in wesentlichen Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz endlich durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen. Damit soll es erleichtert werden, den eigenen Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern. Statt wie bisher ein langwieriges und teures Gerichtsverfahren sowie mehrere Gutachten zu verlangen, soll eine Erklärung der Person selbst ausreichen – ein wichtiger Fortschritt für trans, inter und nichtbinäre Menschen.
Nachdem die Ampel-Koalition zunächst noch ein Inkrafttreten der neuen Regelungen bis 2022 versprochen hatte, verschob sich der Zeitplan immer wieder. Im Mai 2023 veröffentliche das federführende Familienministerium dann endlich den Referentenentwurf, im August 2023 beschloss die Bundesregierung ihren Gesetzesvorschlag.
Dieser enthielt gegenüber dem ersten Entwurf einige Verschlechterungen: Das Verfahren wurde verkompliziert, das Offenbarungsverbot, also das Verbot den alten Namen oder Geschlechtseintrag auszuforschen oder weiterzugeben, geschwächt und bei jeder Änderung soll eine Vielzahl von Sicherheitsbehörden informiert werden.
Der Kabinettsbeschluss wurde stark kritisiert: für den Bundesverband trans* bestand "noch deutlich Luft nach oben", wichtige Kritikpunkte seien nicht eingearbeitet worden und die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes sprach von "Ausführungen, die dazu geeignet sind, Diskriminierungen zu begünstigen und Vorurteile zu bestärken.". Sie sah in manchen Aspekten sogar eine Verschlechterung zum bisherigen, teilweise verfassungswidrigen Transsexuellengesetz. Zumindest die automatische Weitergabe der Änderungen an Sicherheitsbehörden wurde inzwischen auch vom Bundestag kassiert.
Wie entsteht eigentlich ein Gesetz?
Um zu verstehen, wie es dazu kam, haben wir noch am Tag des Kabinettsbeschlusses sämtliche Informationen dazu angefragt. Alle angefragten Ministerien haben unsere Anfrage abgelehnt, mit reichlich kurzer Begründung:
Der interne Abstimmungsprozess innerhalb der zuständigen Ressorts und innerhalb der Bundesregierung sei noch nicht abgeschlossen, daher könnten keinerlei Informationen herausgegeben werden. Diese Beratungen und die Vorbereitung von Entscheidungen sind nach dem IFG geschützt, wenn ein Risiko besteht, dass die Herausgabe der Informationen sie behindern oder vereiteln könnte. Das sei der Fall.
Wir sind anderer Meinung und verklagen daher das Familienministerium, um trotzdem an die Informationen zu kommen. Denn das Ministerium begründet nicht ausreichend, warum die Herausgabe der Informationen tatsächlich schädlich sein könnte. Es behauptet einfach, dass das so sei.
Außerdem schützt das IFG Vorbereitungen zu einer Entscheidung in der Regel nur solange, bis die Entscheidung gefallen ist. Der Kabinettsbeschluss ist unserer Meinung nach eine zunächst abschließende Entscheidung der Regierung, während die Ministerien davon ausgehen, dass auch während der Beratungen im Parlament Dokumente geheim bleiben dürfen.
Auch nach dem Beschluss geht es weiter
Die Klage ist daher nicht nur wichtig, um herauszufinden, wie es zu diesem konkreten Gesetz kam. Mit ihr können wir idealerweise auch herausfinden, ab wann die Öffentlichkeit ein Recht auf Informationen zu einem Gesetzgebungsprozess hat.
Daher wollen wir die Klage auch weiterverfolgen, nachdem der Bundestag das Gesetz beschließt und uns das Ministerium hoffentlich die Informationen zum Selbstbestimmungsgesetz herausgibt.
████████████████████████ ▌▎ Korbinian Geiger Verwaltungsgericht Berlin Rechtsanwalt Kirchstraße 7 ██████ ▎ 10557 Berlin ███████ ▎ ▎ Ihr Zeichen: VG 2 K 557/23 Unser Zeichen:53/23 Greifswald, 3. April 2024 VG 2 K 557/23 In der Verwaltungsstreitsache Engelhardt gegen Bundesrepublik Deutschland wird beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 25. September 2023 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 27. November 2023 zu verpflichten, der Klägerin gemäß ihrem Antrag vom 23. August 2023 sämtliche ihr vorliegenden amtlichen Informationen zum Selbstbestimmungsgesetz zuzusenden, soweit es sich nicht um Verlaufsprotokolle des Bundeskabinetts handelt .
Begründung Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da sie Anspruch auf Zugang zu den im Antrag bezeichneten Informationen hat. Klarstellend wurde der Antrag so gefaßt, daß die in den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung fallenden Unterlagen bzw. Informationen, hier konkret Verlaufsprotokolle des Bundeskabinetts, nicht begehrt werden. vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 7 C 19.17 – Den übrigen Informationszugang betreffend verweigert die Beklagte unter Verweis auf zwei Versagungsgründe vollständig. Zum einen stützt sie ihre Verweigerung auf § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG (Beeinträchtigung der Beratungen von Behörden) und zum anderen auf § 4 Abs. 1 Satz 1 IFG (Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses). 1. § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG a) Schutzobjekt Beratungen Die Beklagte erkennt schon das von § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG erfaßte Schutzobjekt Beratungen nicht zutreffend, denn hierunter fällt lediglich der Beratungsvorgang. Informationen werden daher nur insoweit erfaßt, als sie den eigentlichen Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung, d.h. die Besprechung, Beratschlagung und Abwägung abbilden und gesicherte Rückschlüsse auf die Meinungsbildung zulassen. vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 – 7 C 19.15 –, Rn. 10, juris Nicht unter den Beratungsbegriff fallen demnach Sachinformationen und gutachterliche Stellungnahmen als Tatsachengrundlagen und Grundlagen der Willensbildung. vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 3. September 2016 – OVG 12 N 58.15 –, Rn. 8, juris b) wenn und solange Beratungen von Behörden beeinträchtigt werden Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht aber auch kein Automatismus dahingehend, daß bei Andauern ressortinterner Abstimmungen stets das Tatbestandsmerkmal des „Wenn und Solange“ der Beeinträchtigung der Beratungen von Behörden erfüllt sei. Die Beklagte macht es sich damit zu leicht und will wohl vermeiden, den hier zu beurteilenden Einzelfall subsumieren zu müssen. Die Beklagte kommt so schon ihrer Darlegungslast, die sie bei den Ausschlußgründen nach § 3 IFG trägt, nicht nach. - Seite 2 von 4 -
vgl. Schirmer in BeckOK InfoMedienR, 43. Ed. 1. Februar 2024, IFG § 3 Rn. 136.3, m.w.N.z.Rspr. Aber auch die zeitliche Dimension des von § 3 Nr. 3 Buchst. b IFG erfaßten Schutzgutes erkennt die Beklagte nicht, denn der zeitliche Umfang des Schutzes ist nicht auf den Zeitraum begrenzt, in dem die Verhandlungen oder Beratungen stattfinden. Vorliegend ist der exekutive Entscheidungsprozeß bereits abgeschlossen, so daß es erst recht einer Auseinandersetzung bedurft hätte, warum weiterhin der Versagungsgrund gegeben sein solle. Für die Bejahung der Gefährdung des geschützten Belangs ist die ernsthafte Möglichkeit der Schutzgutbeeinträchtigung von der Behörde, also eine konkrete Gefahr, darzulegen. Auch dieser Anforderung genügt die Beklagt in ihrer Begründung nicht ansatzweise. 2. § 4 Abs. 1 Satz 1 IFG Auch das Vorliegen dieses Versagungsgrundes legt die Beklagte nicht dar. Zunächst faßt der Beklagte fälschlicherweise wieder alle vom Antragsbegehren umfaßten Informationen unter das Schutzobjekt Entwürfe zu Entscheidungen sowie Arbeiten und Beschlüsse zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung; nichteinmal die Rückausnahme in § 4 Abs. 1 Satz 2 IFG berücksichtigt sie dabei. Jedenfalls scheitert die Anwendbarkeit des Versagungsgrundes hier bereits daran, weil mit dem Kabinettsbeschluß die Entscheidung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 IFG bereits getroffen worden ist und kein Vereitelungsrisiko mehr besteht. vgl. hierzu auch die Gesetzesbegründung, die die Entscheidungsfindung mit dem Kabinettsbeschluß für abgeschlossen hält („Wegen § 3 Nr. 3 und § 4 Abs. 1 ist ein Anspruch auf Informationszugang vor dem Kabinettbeschluss dennoch regelmäßig ausgeschlossen.“), BT-Drs. 15/4493, Seite 7 Der Kabinettsbeschluß stellt damit die äußerste zeitliche Grenze für die Anwendbarkeit des Versagungsgrundes dar. vgl. Schoch, 2. Aufl. 2016, IFG § 4 Rn. 36, m.w.N. Soweit die Beklagte das Gegenteil für sich beansprucht, kann sie mit der Pauschalität ihrer Begründung, der interne Abstimmungsprozeß innerhalb der Bundesregierung sei auch nach dem Kabinettsbeschluß noch nicht abgeschlossen, nicht durchdringen, denn dies gilt in gewisser Weise für jedes von der Bundesregierung initiierte Gesetzgebungsverfahren. Sie legt auch nicht dar, daß irgendwelche Entscheidungen konkret bevorstünden; eine Berufung darauf, daß eine Information irgendwann einmal einer Entscheidung dienen könne, ist unzureichend, da die Unmittelbarkeit i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 IFG fehlt. vgl. Debus in BeckOK InfoMedienR, 43. Ed. 1. Februar 2024, IFG § 4 Rn. 18, m.w.N. - Seite 3 von 4 -
Auch eine hinsichtlich des Vereitelungsrisikos zu treffende Prognoseentscheidung hat die Beklagte nicht vorgenommen. vgl. Debus in BeckOK InfoMedienR, 43. Ed. 1. Februar 2024, IFG § 4 Rn. 20, m.w.N. Hierbei hätte sie plausibel begründen müssen, daß zwischen der Preisgabe der Information und der Vereitelung des Erfolgs eine Kausalität besteht. vgl. Brink/Wirtz in PdK Bu A-16, IFG § 4, beck-online Korbinian Geiger Rechtsanwalt - Seite 4 von 4 -